27.-29. Mai 2024
STATION Berlin

Apps und digitale Plattformen sind für viele Menschen inzwischen alltägliche Anlaufstellen – ob zum Kennenlernen, Beziehung führen, oder für Sex. Lange ging die Forschung bei der Handynutzung und auch beim Online-Dating von Angst – Stichwort FOMO – oder suchtähnlichem Verhalten aus. Neuere Erkenntnisse zeigen allerdings, dass die Nutzung einen eigenen Zweck hat: Wir binden uns an die Figuren im Endgerät, beruhigen uns über das Swipen und lagern Bedürfnisse nach Anerkennung, sozialem Anschluss oder Sex und Intimität aus.
Kurzum: Wir führen digital mediierte, parasoziale Beziehungen, die in Konkurrenz zu analogen Beziehungen stehen. Allerdings kann Parasozialität einsam machen, sagt die Sozialpsychologin und #rp24-Sprecherin Johanna Degen. Die ständige Beschäftigung mit dem Smartphone beeinflusst nicht nur Aufmerksamkeit, sondern verändert auch ganze Beziehungen. Ihren Höhepunkt findet dieses Phänomen wohl in der Unterbrechung von Intimität durch das Handy, auch „Phubbing“ genannt. Apokalyptische Szenarien und Dystopie sind trotzdem unangebracht: Wie kann es also gut und besser weitergehen? Darauf hat die psychologische Forschung bereits Antworten, denn es gibt positive Nutzungsweisen, positive Wirkweisen und therapeutische Ansätze für die Nutzung!
Johanna L. Degen, aka „Dr. Tinder”, ist Sozial- und Medienpsychologin und forscht zu Themen rund um Liebe, Sex und Beziehungen in der digitalen Vermittlung über Social Media und Dating-Apps. Derzeit habilitiert, forscht und lehrt sie an der Europa-Universität Flensburg, ist Gastwissenschaftlerin in Oslo und Verona und leitet mehrere internationale Forschungsprojekte zu den Themen Liebe, Dating und Lebenssinn. Zudem leitet sie das Psychologische Institut für Subjektivitäts- und Praxisforschung und ist in einer eigenen Praxis in der Paar-, Sexual- und Familienberatung mit Schwerpunkt auf Medien und alternativen Beziehungskonstellationen sowie Patchwork tätig. Außerdem ist sie Co-Gründerin von Teach LOVE – ein Wissenstransferprojekt, in dem es um sexuelle Bildung und psychologische Beratung zu parasozialer Kompetenz geht. Sie ist Co-Autorin von „Liebe ohne Ende: Liebesbiografische Erzählungen vom Leben“. Im April erschien ihr neues Buch „Swipe, like, love: Intimität und Beziehung im digitalen Zeitalter.“
Wir freuen uns, auf der re:publica 24 von Johanna mehr über das Phänomen der „Parasozialität“ zu erfahren und zu lernen, wie es vielleicht anders geht!
#WhoCares: Ein Interview mit Johanna Degen.
Das Motto der re:publica 24 lautet „Who Cares?“. Um wen oder was kümmerst du dich gerade?
I „freakin” care, dass wir nicht im kollektiven Missverständnis aneinander vorbeidaten, uns verletzen, mechanischen Sex statt sinnlichen haben und statt Begegnung in Vereinzelung über Social Media vereinsamen und verarmen. Für mich zählt humanistische Begegnung, nach der viele von uns hungern, aber die uns immer schwerer fällt, im öffentlichem Raum und auch im Privaten herzustellen.
Worum kümmern wir uns zu wenig als Gesellschaft?
Wir stecken in der Idee, alles zu kontrollieren und zu technisieren. Guter Sex soll sein, wenn man alle Stellungen und die Anatomie kennt, also Skills mitbringt, dazu gibt es Online-Kurse und Bücher. Beziehung ist, wenn man checklistenhaft überprüft, wo man gerade steht und ob man alles bekommt, was man möchte. Intimität, Nähe, Resonanz sind aber spontane Zustände – die können wir nicht erzwingen. Wir müssen uns zuwenden, uns emotional wieder riskieren und sehen, wo wir landen. Das ist sowieso spannender und dazu brauchen wir keine App, kein Metaverse und kaum Geld.
Gibt es eine Person, Bewegung oder Institution, die dich beeindruckt, da sie sich für etwas besonders einsetzt? Oder hat dich ein Buch, ein Artikel oder Podcast inspiriert?
Mich berührt, dass viele Pärchenpodcasts thematisieren, dass sie über das Format endlich ins Gespräch gekommen sind. Leute, ihr braucht dazu kein Publikum und keinen Podcast!
Worüber möchtest du auf der re:publica sprechen?
Ich spreche darüber, wie der Mensch nicht von der Technik konsumiert wird, sondern sich diese für ein als sinnhaft erlebtes Leben aneignen kann. Beim Dating per App und über Social Media – wir haben es förmlich in der Hand.